Warum ist es beim Harmonikaspielen wesentlich leichter Fehler einzulernen, als zu korrigieren?
Wenn ich diese Frage an meine Musikkollegen, Lehrerkollegen oder Harmonikaschüler stelle, kommen unter anderem diese Rückmeldungen: “Ja, das kenne ich. Ich weiß, wie mühsam es ist, eingelernte Fehler wieder auszubessern. Das passiert mir immer wieder. Ich wiederhole dann die schwierigen Takte so oft, bis ich sie dreimal fehlerfrei spielen kann.” Wie gehst du damit um?
Im Grunde genommen kommen immer dieselben Antworten. Jeder, der ein Musikinstrument lernt oder spielt, hat diese Erfahrung schon gemacht. Aber die Frage warum es leichter ist Fehler einzulernen, als zu korrigieren, ist damit noch nicht beantwortet.
Wenn du weißt, warum das so ist und deine Übe-Methodik danach ausrichtest, wirst du künftig ein neues Musikstück in viel kürzerer Zeit erlernen und vortragen können.
# Warum es wesentlich leichter ist Fehler einzulernen, als zu korrigieren
Unser Gehirn macht keinen Unterschied zwischen richtig und falsch. Es speichert jede gespielte Version ab. Wenn dir also bei einer Übung ein Fehler, egal ob bewusst oder unbewusst passiert, wird er gespeichert. Wenn du das Stück wiederholst und denselben Fehler wieder machst, wird er wieder gespeichert, usw.
Je öfters dir der Fehler passiert, desto stärker wird die „Datenleitung“ und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Fehler wieder auftritt.
Besonders tückisch sind Fehler die du beim Spielen nicht als Fehler erkennst und dadurch mit gutem Gewissen und viel Training automatisierst. Einen bereits automatisieren Fehler zu korrigieren ist sehr mühsam und bedarf enormer Disziplin beim Üben.
Du musst nämlich eine neue starke Datenleitung mit der „korrigierten“ Spielweise anlegen. Und das bedarf sehr viele richtig gespielte Wiederholungen. Deshalb ist es wichtig, dass wir Fehler sofort korrigieren und eine neue starke Datenleitung mit richtig gespielten Versionen anlegen.
Hier einige Beispiele für nicht erkannte Fehler:
- Schlechte Fingerhaltung
- Notenwerte werden nicht ausgehalten
- Bei Druck-Zugwechsel wird die letzte Note gekürzt
- Kein Wechselbass in der Begleitung
- “Hinkender” Bass bzw. schlampige Begleitung
- Temposchwankungen
- Fehlende oder falsche Balgführung
Was kann dir bei der Fehlererkennung behilflich sein?
a) Harmonikalehrer gibt direkte Rückmeldung
- Lehrer erkennt Fehler und Verbesserungspotential
- Lehrer gibt konkrete Anleitung zur Korrektur
- Lehrer passt das Tempo auf deine Lerngeschwindigkeit an
- Lehrer spielt spezielle Übungen vor und nimmt sie für dich auf
b) Aufnahmen anhören und vergleichen
- Wenn du das Stück vom Hören her in- und auswendig kannst, fällt es dir wesentlich leichter eigene Fehler zu erkennen und zu korrigieren.
Diese 5 Tipps ersparen dir mühsames Korrigieren von Fehlern:
- Zuerst Hören, dann spielen
Wenn du die Übung oder das Musikstück bereits im Ohr hast, tust du dich beim Lernen wesentlich leichter. Nimm dir deshalb genügend Zeit Stücke schon im Vorfeld anzuhören. Höre dir die Aufnahmen oder Videos mehrmals an. - Übe im „passenden“ Tempo
Das Tempo ist die wichtigste „Stellschraube“ bei der Minimierung der Fehlerquote.
Passe daher dein Spieltempo immer an deine Lernstufe und die jeweilige Herausforderung an. Ich unterscheide beim Harmonikaspielen drei Lern- bzw. Tempostufen.
a) Lerntempo – Neues lernen oder Fehler korrigieren
b) Übungstempo – Erlerntes in Abschnitten perfektionieren und festigen
c) Vortragstempo – Gefestigtes in Anwendung bringen und vorspielen - Übe vom „Kleinen“ zum „Großen“ (vom Detail zum Ganzen)
Zuerst Kleine Abschnitte, Melodie und Bass getrennt, schwierige Stellen, Übergänge, etc.
Dann größere Abschnitte und erst zum Schluss das ganze Stück mit allen Wiederholungen - Weniger ist mehr
Übe nur so lange wie du dich konzentrieren kannst. Sehr viele erwachsene Harmonikaspieler üben zu viel. Nicht die Spieldauer ist entscheidend, sondern die Qualität des Übens. Du merkst es unter anderem daran, wenn das gerade Geübte schlechter wird anstatt besser, oder wenn du nur noch das spielst, was „leicht geht“ bzw. was du schon kannst. Achte auch auf die Anzahl der Stücke, an denen du gleichzeitig arbeitest. Mach weniger Stücke und diese dafür genauer. - Selbstkontrolle durch aufnehmen
Nimm dich auf und werde zu deinem eigenen Lehrer. Kontrolliere wie du rhythmisch gespielt hast, ob du die Notenwerte eingehalten hast, ob das Tempo gleichgeblieben ist. Notiere dir, was gut war und was du verbessern möchtest. Danach übst du die verbesserungswürdigen Stellen. Übrigens: Das sich selbst aufnehmen ist gleichzeitig ein gutes Vorspieltraining.
Fazit:
Unser Gehirn speichert alles, egal ob richtig oder falsch!!
Versuche deshalb von Beginn an immer alles möglichst richtig zu machen. Wenn du Fehler erkennst, korrigiere sie am besten sofort. Behalte immer selbst die Kontrolle über dein Harmonikaspiel und passe dein Tempo an die Herausforderung an. Freue dich über jeden auch noch so kleinen Lernerfolg und auf alles, was dir gut gelingt. Je mehr positive Erfahrungen und Emotionen du beim Lernen erlebst, desto leichter, besser und schneller lernst du.
Wenn du noch mehr über die Funktionsweise unseres Gehirns und die Psychologie des Lernens erfahren möchtest, dann lies weiter.
# Die Psychologie des Lernens
In der Lernpsychologie geht es darum, wie wir Menschen Informationen aufnehmen, verarbeiten und speichern. Bevor wir überhaupt anfangen können zu lernen, nehmen unsere Sinne unzählige Informationen aus der Umgebung auf. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten (Fühlen)
Bezogen auf das Erlernen der Steirischen Harmonika schaut das wie folgt aus:
1. Wie nehmen wir Informationen auf und verarbeiten sie?
a) über die Augen (sehen) – Notenlesen, Zuschauen, Beobachten, etc.
b) über die Ohren (hören) – Aufnahmen hören, vorgespieltes hören, sich selbst zuhören
c) über die Hände (tasten) – Greifen, Tastendruck, Tastenanschlag, Balgführung, etc.
Durch die Kombination aller Sinne kannst du Informationen besser aufnehmen und verarbeiten. So erzielst du den größtmöglichen Lernerfolg. Ein Beispiel: Jemandem beim Spielen zu beobachten und live zu hören ist für das Aufnehmen, Verarbeiten und Speichern der Informationen um ein Vielfaches effektiver als nur eine Aufnahme zu hören.
Wichtiger Hinweis: Nicht alles, was wir wahrnehmen, wird in unser Gedächtnis aufgenommen. Unsere Aufmerksamkeit ist begrenzt. Sie beschränkt sich auf das, was für uns wichtig erscheint.
Du kannst das mit dem Blick durch ein Fernrohr oder deine Handykamera vergleichen. Dort siehst du nur einen Teil dessen, was du mit freiem Auge siehst.
Was heißt das für das Harmonikaspielen?
Wenn dir dein Lehrer oder Freund etwas vorspielt, kannst du nicht auf alles gleichzeitig hören/schauen. Wenn du dich z.B. darauf konzentrierst an welchen Stellen die Noten breit oder kurz gespielt werden, wirst du kleine Fehler in der Begleitung (linke Hand) nicht wahrnehmen.
Was bedeutet das fürs Üben?
Du kannst nicht alle Fehler gleichzeitig korrigieren. Konzentriere dich immer nur auf eine oder maximal zwei Dinge. Z.B. Artikulation Melodieseite und exakte kurze Begleitung, oder Dynamik (lauter und leiser werden) und gleichbleibendes Tempo, Griffe und Fingersatz, Griffe und Notenwerte, Fingerhaltung und Tempo, Tempo und Lautstärke, etc.
So lernen wir Erwachsene:
Erwachsene lernen auf der Grundlage von bereits gemachten Erfahrungen und erworbenen Fähigkeiten und schließen an diese an. Spielst du schon ein Instrument, z.B. Gitarre, hast du schon gewisse Erfahrungen und Fähigkeiten, die du bei der Harmonika nicht mehr neu lernen musst. Z.B. Notenwerte, Rhythmus, Notenlesen, Fingergeläufigkeit, Koordination linke und rechte Hand, etc. Neu erlernen musst du „nur“ noch das Greifen, die Balgführung in Koordination beider Hände, etc.
2. Wie speichern wir Informationen?
Unser Gehirn hat einfach ausgedrückt zwei Speicherplätze.
a) Das Arbeitsgedächtnis – das ist der Kurzzeitspeicher unseres Gehirns. Hier werden Informationen für kurze Zeit behalten. Es ist das Gedächtnis, das uns ermöglicht, dem vorgespieltem Musikstück zu folgen, Anleitungen des Lehrers zu verstehen und sie umzusetzen. Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses ist begrenzt, weshalb wir uns manchmal schwerer tun, komplexe Informationen gleichzeitig zu verarbeiten.
b) Das Langzeitgedächtnis – das ist der Ort, an dem Informationen langfristig gespeichert werden. Bis Informationen hier abgespeichert werden, hängt von Faktoren ab, wie Wiederholungshäufigkeit, Interesse und Emotionalität.
Alles, was du während des Übens oder im Unterricht machst, wird im Kurzzeitgedächtnis verarbeitet. Das können sein:
- Neue Lerninhalte (Griffe, Spieltechniken, Stücke, etc.)
- Üben im Detail (Griffkombinationen, Dynamik, Artikulation, Geläufigkeit)
- Trainieren von Übergängen und kürzeren Abschnitten
- Wiederholen und Festigen von kompletten Musikstücken
In dieser Phase sind Veränderungen und Korrekturen am Gelernten noch leicht machbar.
Nach einer gewissen Zeit oder einer gewissen Anzahl von Wiederholungen wandern die gespeicherten Fähigkeiten in unser Langzeitgedächtnis. Wenn es dort angelangt ist, heißt das für uns, dass wir das Musikstück und dessen Vortragweise automatisiert haben. Ab diesem Zeitpunkt wird es deutlich schwieriger Veränderungen vorzunehmen oder Fehler zu korrigieren.
# So lernt unser Gehirn
Unser Gehirn ist ein Muskel. Muskeln müssen regelmäßig trainiert werden, damit die Leistungsfähigkeit verbessert oder zumindest beibehalten wird. Entscheidend für das Lernen sind neuronale Verbindungen, auch Synapsen genannt.
Für uns Musiker sind zwei Lernarten unseres Gehirns relevant:
a) Bewegungsabläufe speichern und abrufen
- Unser Gehirn speichert Bewegungsabläufe. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das fürs Harmonikaspielen: unser Gehirn speichert die Bewegungen der Finger, die Griffkombinationen, ob die Tasten fest oder leicht, kurz oder lang gedrückt werden, wie der Balg geführt wird, etc.
- Für jede neue Bewegung bilden sich neue Synapsen (Verbindungen). Wenn du das Zusammenspiel von linker und rechter Hand noch nie gemacht hast, ist diese Verbindung im Gehirn eventuell noch nicht vorhanden. Deshalb benötigt man dafür auch mehrere Versuche und viele Wiederholungen, bis es locker funktioniert.
- Je mehr Erfahrungen du gesammelt hast, desto stärker und schneller wird die „Datenleitung“ in
- Die Fähigkeit Bewegungsabläufe zu erlernen, zu perfektionieren und abzurufen nutzen nicht nur wir Musiker, sondern auch Spitzensportler
b) Melodien erkennen, speichern und wiedergeben
- Unser Gehirn kann auch Melodien speichern. Diese spezielle Fähigkeit wird als “Melodiegedächtnis” bezeichnet.
- Das Melodiegedächtnis ermöglicht es dir, eine Melodie zu erkennen, wenn du sie hörst. Dabei erkennt unser Gehirn nicht nur die Abfolge der Tonhöhen, sondern auch Rhythmen, musikalische Strukturen, Instrumente und den Vortrag.
- Wir Musiker nutzen Melodiegedächtnis, um Stücke auswendig zu lernen und präzise zu spielen zu können.
- Talentierte Musiker haben ein sehr gut ausgeprägtes Melodiegedächtnis. Teils angeboren oder seit Kindesbeinen an gefördert.
- Die gute Nachricht für die „weniger“ Talentierten: Das Melodiegedächtnis kannst du trainieren, unabhängig von deinem Talent oder Spielniveau.
Kleiner Tipp für das Training deines Melodiegedächtnisses: Melodien anhören und dann nachsingen. – ja so einfach geht das.
Zusammenfassung
Gute Musiker und gute Harmonikaspieler kümmern sich um Beides. Zum einen um das Trainieren der Bewegungsabläufe am Instrument und zum anderen um ihr Melodiegedächtnis. Für den Lernerfolg ist nicht dein Talent entscheidend, sondern die Art und Weise wie du lernst und übst, welche musikalischen Ziele du verfolgst, ob du einen Lehrer hast oder auf dich allein gestellt bist, wie du Musik hörst und wieviel Zeit du für dein musikalisches Hobby investieren kannst.
Nachdem du jetzt weißt, wie unser Gehirn funktioniert und wie es lernt, kannst du selbst entscheiden, welchen Lernweg du einschlagen möchtest. Und wenn dir der Beitrag gefallen hat und du dich für den Unterricht interessierst, würde ich mich sehr freuen, wenn du bei unseren Lehrern vorbeischaust.
Michlbauer News
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